Pressemitteilung der Stiftung Zollverein (August 2002)
 
Symmetrie und Symbol.
Die Industriearchitektur von Fritz Schupp und Martin Kremmer
 
Vom 31. August bis 3. November 2002
Halle 8, Zeche Zollverein XII, Gelsenkirchener Straße 181; 45309 Essen
Di bis So 10 bis 18 Uhr; Fr bis 22 Uhr

 
Die Stiftung Zollverein stellt das Werk der Architekten Fritz Schupp (1896-1974) und Martin Kremmer (1895-1945) erstmals in einer Ausstellung vor. Die beiden Baukünstler und "Zollvereinarchitekten", die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den in Deutschland renommiertesten Architekten im Industriebau gehörten und heute nur noch in Fachkreisen bekannt sind, haben Einmaliges geschaffen: Sie sind Erbauer von zwei Anlagen, die heute zu den Weltkulturerbestätten der UNESCO zählen, dem Erzbergwerk Rammelsberg bei Goslar und der Zentralschachtanlage XII der ehemaligen Zeche Zollverein in Essen.
 
Die Stiftung Zollverein nimmt die junge Ernennung der "Industriellen Kulturlandschaft der Zeche Zollverein" (darunter sind die Schachtanlagen XII, 1/2/8 und die Kokerei zusammengefasst) zum UNESCO-Weltkulturerbe am 14. Dezember 2001 und das 70-jährige Bestehen der Schachtanlage XII in diesem Jahr zum Anlass, die Architekten dieses bedeutenden Industriekomplexes, Fritz Schupp und Martin Kremmer, mit ihrer überhaupt ersten Ausstellung zu würdigen und sie einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Das Doppelbockfördergerüst von Zollverein XII ist zwar längst zum Wahrzeichen von Essen und zum Synonym für den Strukturwandel im Ruhrgebiet geworden, doch wem diese Maßstäbe setzende Architektur zu verdanken ist, ist nur wenigen bekannt. Auch die Aufnahme Zollvereins in die Liste der von "außergewöhnlichem, universellem Wert" gekennzeichneten Kulturstätten ist wesentlich der Leistung von Schupp und Kremmer zu verdanken.
 
Die Kuratoren der Ausstellung
Mit der wissenschaftlichen Leitung der Ausstellung hat die Stiftung Zollverein zwei renommierte Experten beauftragt: Dr. Wilhelm Busch, selbständiger Architekt in Mönchengladbach und Privatdozent an der TH Aachen. Busch hat mit seiner Dissertation 1980 eine erste Forschungsarbeit über die Architekten Schupp und Kremmer geschrieben - ein Standardwerk, das heute vergriffen ist. Dr. Thorsten Scheer, Kunsthistoriker, Publizist, Ausstellungsmacher und Hochschuldozent an der Ruhr-Universität Bochum und der Fachhochschule Düsseldorf. Scheer hat zahlreiche Bücher über zeitgenössische Kunst und Architektur verfasst; im Jahr 2000 kuratierte er die Ausstellung "Stadt der Architektur - Architektur der Stadt" über 100 Jahre Stadtentwicklung in Berlin auf der Berliner Museumsinsel.
 
Das Werk und die Gestaltungsprinzipien von Schupp und Kremmer
"Symmetrie und Symbol" konzentriert sich im Wesentlichen auf die Bautätigkeit der Sozietät Schupp und Kremmer in den Jahren von 1921 bis 1945. Die Sozietät unterhielt Büros in Essen, in Berlin und zeitweise in Gleiwitz / Oberschlesien. Ihre Bauaufgaben waren vielfältig: das Spektrum der Aufträge umfasste Bergwerks- und Hüttenwerken, Siedlungs-, Wohnungs- und Kirchenbauten.
Den Industriebau im Ruhrgebiet bestimmten Schupp und Kremmer maßgeblich: sie waren in den Bau nahezu jeder größeren Werksanlage involviert und übten dadurch einen großen Einfluss auf das Bild und die Baukultur dieser Europa weit größten und wichtigsten Industrielandschaft aus. Exemplarisch seien hier einige Anlagen genannt, die die Architekten, wenn auch nicht immer in Gänze planten, so zumindest um neue Komplexe wie Waschkauen, Werkstätten, Kohlenwäschen, Schalt-, Schacht-, Kessel- oder Pumphäuser erweiterten:
1920 - 1955: Zeche Graf Moltke in Gladbeck
1920 - 1925: Zeche Holland in Bochum
1920 - 1925: Zeche Holland in Bochum
1923 - 1953: Zeche und Kokerei Nordstern in Gelsenkirchen;
1927: Zentralkokerei Alma in Gelsenkirchen
1927 - 1932: Zeche Zollverein 12 in Essen, Gesamtplanung der Zentralschachtanlage
1929 - 1939: Zeche Friedrich Thyssen in Duisburg
1932 - 1942: Zeche und Kokerei Hansa in Dortmund
1936 - 1939: Erzbergwerk Rammelsberg bei Goslar im Harz
1938: Bergbaumuseum Bochum
1938: Volkswagenwerk in Wolfsburg
1944: Zeche Germania in Dortmund
1957 - 1962: Zentralkokerei Zollverein in Essen
1967 - 1968: Stranggussanlage, Duisburg-Ruhrort

Mit ihrer den Gestaltungsmaximen der Moderne verpflichteten Handschrift, die im Entwurf für die Zentralschachtanlage XII der zwischen 1927 und 1932 erbauten Zeche Zollverein ihren Höhepunkt gefunden hat, avancierten Schupp und Kremmer zu den Pionieren des modernen Industriebaus in Deutschland. Gemäß ihrer Auffassung, dass Form und Funktion in eine Einheit zu bringen seien, und die Form die Funktion wieder zu geben habe, entwickelten sie in Auseinandersetzung mit den spezifischen Anforderungen des Bergbaus vollkommen eigenständige und neue Gestaltungsideen. Als gestaltete Einheit, in der jedes Gebäude die Form eines Quaders erhielt, und jeder Funktion ein Quader zugeordnet wurde, bildete Zollverein XII eine neue Entwicklungsstufe in der Bergwerksarchitektur, wurde zum Musterbeispiel für den nachfolgenden Industriebau und zum vielbestaunten Mekka für Architektur- und Kunstinteressierte aus der ganzen Welt.
Für Aufsehen sorgte seit dem Zentralschacht von Zollverein auch das System der Fassadenkonstruktion: die alle Baukuben einheitlich rasternde Stahlfachwerkarchitektur, die fortan zum Markenzeichen von Schupp und Kremmer wurde. Trotz der unterschiedlichen Anforderungen an die Konstruktion gelang es mithilfe des aus dünnen Stahlprofilen gerasterten Stahlfachwerks, die gewünschte Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit des Gesamtensembles zu erzielen. Denn das Stahlfachwerk war vor die tragende Primärkonstruktion, d.h. vor das aus mächtigen Portalrahmen gebildete statische Skelett im Inneren der Gebäude gehängt. Von ihrer tragenden Funktion entlastet, konnte die nur als Außenhaut fungierende Fassade ihre ästhetische Flexibilität beibehalten. Verstärkt durch die entweder horizontal oder vertikal angeordneten Fensterbänder, machte das architektonische Erscheinungsbild dadurch einen leichten, fast entmaterialisierten Eindruck.
In dieser Bauart fanden die ästhetischen Vorstellungen der Architekten mit den konstruktiven Bedingungen zusammen. In funktionaler Hinsicht entsprach sie darüber hinaus den Ansprüchen an den industriellen Zweck: sie war leicht und preiswert, beliebig erweiterbar und umgekehrt leicht demontierbar; sie konnte schnell erstellt und flexibel an die technischen Erfordernisse angepasst werden.
 
"Wir müssen erkennen, dass die Industrie mit ihren gewaltigen Bauten nicht mehr ein störendes Glied in unserem Stadtbild und in der Landschaft ist, sondern ein Symbol der Arbeit, ein Denkmal der Stadt, das jeder Bürger mit wenigstens ebenso großem Stolz dem Fremden zeigen soll, wie seine öffentlichen Gebäude." In diesem Zitat von Fritz Schupp aus dem Jahr 1929 kommt das Selbstbewusstsein des modernen Architekten zum Ausdruck, der der entschiedenen Auffassung war, dass der Industriearchitektur dieselbe Wertschätzung gebühren müsse wie der Baukunst sakraler und öffentlicher Gebäude. Für ein Umdenken sorgten Schupp und Kremmer fortan auch in einer weiteren Hinsicht: Waren Bau und Konstruktion technischer Industrieanlagen bisher den Ingenieuren der Bergwerksgesellschaften vorbehalten, und kam der Architekt erst am Ende für die Gestaltung der entsprechenden Optik ins Spiel, gelang es Schupp und Kremmer seit dem Entwurf für den Zentralschacht von Zollverein, schon zu Beginn der Planungen mit einbezogen zu werden. Erstmals entwickelten Schupp und Kremmer die Entwürfe einer Anlage in enger Abstimmung mit den Ingenieuren, um so die Form und Funktion, die Gebäude und Maschinen von Anfang an in eine Einheit zu bringen.
 
Martin Kremmer kam 1945 in Berlin ums Leben, Schupp unterhielt das Büro in Essen noch fast dreißig Jahre bis 1974.
 
Der Stiftung Zollverein ist es für dieses Ausstellungsprojekt gelungen, den Nachlass des Schupp-Büros erstmals zu öffnen und aufzuarbeiten. Die Ausstellung "Symmetrie und Symbol" wird bisher unveröffentlichte Originalpläne, -skizzen und -dokumente zeigen, die nicht nur den Weg der Architekten aufzeigen und in anschaulich ästhetischen Entwurfszeichnungen zum Ausdruck bringen, sondern auch gänzlich unbekannte Bauaufgaben in erster Linie von Schupp zum Vorschein brachten. Im Verlauf der Recherche konnten beispielsweise drei Wohnsiedlungen - in Dortmund, Gladbeck und Gelsenkirchen - ausfindig gemacht werden, die zuvor nicht Schupp zugeordnet waren.
 
Die Ausstellung
Das umfangreiche Werk von Fritz Schupp und Martin Kremmer wird eine anschauliche Präsentation finden. Allein die Ausstellungshalle am Ort des wohl prominentesten Exponats stellt eine so nie wieder anzutreffende Kulisse dar. Denn die Halle 8 ist eine der letzten Hallen des Industriedenkmals, die im Zuge der neuen Nutzung nach der Stilllegung 1986 noch nicht restauriert wurde. So werden hier - ein letztes Mal, bevor die Halle im Anschluss an die Ausstellung für Büroräume komplett umgebaut werden wird - die Konstruktionsweisen, die Profile oder das Stahlskelett noch unverbaut, im Original zu sehen sein, während die einzelnen Schritte dorthin dann in der Ausstellung nachgezeichnet und anhand von rund 250 Exponaten exemplarisch dargestellt werden.
"Symmetrie und Symbol" gibt einen retrospektiven Überblick über das gesamte Werk und Wirken der Sozietät Schupp und Kremmer: sie präsentiert die zu den zahlreichen Industrieanlagen, Wohnhäusern, Siedlungsbauten und schließlich zu den Berliner Kirchen entstandenen Entwürfe anhand der Originaldokumente aus dem Nachlass. Darüber hinaus wird die Ausstellung durch umfangreiche Fotografien mit Originalabzügen von Albert Renger-Patzsch und Anton Meinholz ergänzt.
Das räumliche Vorstellungsvermögen dieser vorwiegend zweidimensionalen Objekte unterstützen schließlich rund 25 Massenmodelle, die die Dimensionen und Volumina von den zentralen Bauwerken Schupps und Kremmers in einheitlichem Maßstab und Material plastisch vor Augen führen.
Die Ausstellung folgt dem Werk der Architekten chronologisch; eingebettet in die Geschichte des Bergbaus sowie der Bergwerksarchitektur erscheint es im Kontext der Zeit und der zeitgenössischen Baukunst. Kontrastiert mit den damals vorherrschenden ästhetischen und konstruktiven Gestaltungsmitteln, wie sie Beispiele zeitgenössischer Architekten, etwa Peter Behrens, Bruno Möhring oder Alfred Fischer, veranschaulichen, hebt sich die besondere Leistung von Schupp und Kremmer deutlich ab.
 
Ausstrahlung
In der lebendigen wie anschaulichen Aufbereitung des umfangreichen und einflussreichen Schaffens der Baukünstler Schupp und Kremmer sieht die Stiftung Zollverein eine verantwortungsvolle Aufgabe. Denn die Ausstellung "Symmetrie und Symbol. Die Industriearchitektur von Fritz Schupp und Martin Kremmer" verfolgt den Anspruch, ein breites Publikum zu erreichen und zu gewinnen. "Wir möchten die Architekten des einzigartigen Industrieensembles Zollverein aus dem Zirkel der Fachwelt herausholen und endlich im Zuge der Auszeichnung Zollvereins durch die UNESCO gerade auch der Bevölkerung dieser Region verdeutlichen, wer hinter dieser Leistung steht. Wir wollen heute gerade die Menschen dieser Region für jene moderne Architektur sensibilisieren und begeistern, die die gesamte Region und damit die Identität des Ruhrgebiets prägten", so Jolanta Nölle, Geschäftsführerin der Stiftung Zollverein.
 
Zu der Ausstellung erscheint ein 288 Seiten starker Katalog mit 17 Beiträgen von Fachautoren aus ganz Deutschland im Verlag der Buchhandlung Walther König. Dieser wird vor allem für die Forschung eine große Bedeutung erlangen, da er nach über 20 Jahren die erste Publikation darstellt, die sich dem Werk von Schupp und Kremmer in Kenntnis des Nachlasses unter vielschichtigen Gesichtspunkten widmet. Auch die Familienmitglieder von Schupp und Kremmer gaben für dieses Unterfangen Unterlagen frei, die bisher nicht zugänglich waren. Damit leistet diese erste Schupp und Kremmer-Ausstellung einen bedeutenden Beitrag für die Kunst- und Architekturgeschichte seit Beginn des letzten Jahrhunderts und legt den Grundstein für weitere Forschungsarbeiten auf dem Gebiet des Industriebaus.
 
Nach ihrer ersten Station auf Zollverein XII wird die Ausstellung "Symmetrie und Symbol" auf Wanderschaft gehen. Als weitere Stationen in Deutschland sind Mannheim und Berlin geplant, im europäischen Ausland Belgien, England und Polen. Im Hinblick auf die Wanderschaft durch Europa engagiert sich die Europäische Kommission, deren Präsident, Professor Romano Prodi, die Schirmherrschaft über die Ausstellung übernommen hat.
Um auch den zahlreichen Zollverein-Besuchern aus dem Ausland gerecht zu werden, werden alle Texttafeln in der Ausstellung in einer deutschen und einer englischen Version ausgeführt.
 
Die Schirmherren der Ausstellung sind:
Prof. Romano Prodi, Präsident der Europäischen Kommission
Wolfgang Clement, Ministerpräsident des Landes NRW
Dr. Wolfgang Reiniger, Oberbürgermeister der Stadt Essen

 
Pressekontakt, Stiftung Zollverein:
Kirsten Müller
Tel.: 0201. 8 30 36-21
Fax: 0201. 8 30 36-20
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